Fuck No Tasse

Lerne NEIN sagen – und JA: eine Anleitung zum Grenzensetzen

Gesunde Grenzen sind wichtig. Sie erlauben es dir stabile Beziehungen zu deinen Mitmenschen zu führen und trotzdem bei dir selbst, deinen Bedürfnissen, Emotionen, Werten, Interessen, Zielen etc. zu bleiben. Hier also eine kurze Anleitung, wie auch du lernen kannst, Grenzen zu setzen.

Kennst du das Gefühl, dass scheinbar dein Leben dich bestimmt und nicht du über dein Leben? Erfüllst du hier und da Erwartungen – von Familie, Freunden, Vorgesetzen und Kolleg:innen – aber du selbst kommst in deinem alltäglichen Leben kaum (noch) vor? Jagst du pausenlos dem nächsten, von der Gesellschaft propagierten, Meilensteine hinterher? Treibt dich permanent ein inneres „Ich muss“ und ein schlechtes Gewissen, weil du auf das, was du vermeintlich „musst“ eigentlich so gar keinen Bock hast? Willst du viel lieber mal wieder in Ruhe ein Buch lesen oder Netflix schauen als wegzugehen, hast du wirklich keine Kapazitäten auch noch Projekt XYZ zu übernehmen, verhält sich jemand dir gegenüber gemein oder übergriffig? Spürst du, dass die aktuelle Situation irgendwie nicht zu deinen eigenen Bedürfnissen passt, aber du weiß auch nicht wie du am besten damit umgehst? Dann kannst du vielleicht von diesem kleinen Crash-Kurs zum Thema Grenzen profitieren.

Was bedeutet es, Grenzen zu setzen?

Psychologisch betrachtet stecken Grenzen den Bereich des Verhaltens (von anderen, aber auch uns selbst) ab, welchen wir als akzeptabel empfinden. Ein gesundes Bewusstsein der eigenen Grenzen sowie ein daran orientiertes eigenes Verhalten kann ganz maßgeblich zu unserem Wohlbefinden und unserer Gesundheit beitragen. Zu schwache oder zu starke Grenzen hingegen können uns schaden.

Während es klar definierte Grenzen des allgemein gesellschaftlich akzeptierten Verhaltens gibt – z. B. man darf nicht stehlen, andere nicht schlagen, fallen persönliche Grenzen sehr individuell aus. Während die eine Person Freunde und Verwandte mit Umarmungen und Küsschen begrüßt, empfindet eine andere Person solch ein Verhalten als bereits zu viel. Während eine Person freiwillig am Wochenende eine Fortbildung besucht und Freude dabei hat, schätzt eine andere Person Zeit für sich und die Familie mehr als berufliche Selbstverwirklichung und ist nicht bereit zusätzliche Energie und Zeit in berufliche Belange zu investieren. Vielleicht findet eine Person eine kleine Lüge hier und da völlig normal, während ein solches Verhalten für eine andere Person ein absolutes No-Go ist.

Wie wir schon erkennen können, können Grenzen sich auf verschiedenste Bereiche beziehen.

So gibt es zum Beispiel:

Soziale Grenzen:

  • Mit welchen Personen möchtest du in welchem Ausmaß dein Leben teilen?
  • Mit wem willst du wie viel deiner Zeit verbringen?
  • Mit wem möchtest du welche persönlichen Informationen teilen?
  • Mit wem möchtest du welche Aktivitäten unternehmen?
  • Wen kannst und willst du inwieweit bei Problemen unterstützen?

Emotionale Grenzen:

  • Welche Gefühle in welchem Ausmaß kannst und möchtest du in dieser Situation tolerieren?
    Beispiel: Du fühlst dich verletzt und nicht respektiert, wenn dein Partner dich im Streit anschreit oder beleidigt. Du empfindest starke Überforderung und Angst bei einem beruflichen Projekt, welches du übernehmen sollst, aber nicht die ausreichende Erfahrung für besitzt. Du weißt, dass dich die Unterhaltung über Politik mit deinem Großonkel auf Familienfeiern jedes Mal wütend macht. Du darfst Grenzen ziehen und aus solchen Situationen herausgehen.

Physische Grenzen:

  • Wie viel physischen Raum brauchst du für dich selbst?
  • Wie nah darf dir eine bestimmte Person in einer bestimmten Situation kommen?
  • Welche Berührungen sind okay?

    Aber auch:
  • Wie viel Bewegung tut dir gut und wann ist es zu viel oder zu wenig?
  • Wie viel (und welche) Nahrung benötigst du?
  • Wie viel Schlaf brauchst du, um dich gut zu fühlen?

Zeitliche Grenzen:

  • Wofür möchtest du deine Zeit investieren?
  • Wo liegen deine Prioritäten und was tut dir gut?
  • Wie viele Stunden kannst und möchtest du arbeiten?
  • Wie viel Zeit vor Bildschirmen oder auf Social Media tut dir gut?
  • Wie viele Abende die Woche möchtest du mit anderen Menschen verbringen und wie viele lieber in Ruhe?

Materielle Grenzen:

  • Was brauchst du für dich zum Leben?
  • Welche materiellen Dinge sind für dich unverzichtbar?

Um Grenzen setzen zu können musst du dich also selbst erst einmal ziemlich gut kennen. Wenn du mit deinen eigenen Emotionen, Bedürfnissen, Werten und Zielen etc. vertraut bist, dann wird es dir auch leichter fallen, zu erkennen, wo deine Grenzen liegen.

Und damit ist der erste Schritt schon einmal geschafft. Schauen wir uns an, wie du diese Grenzen auch kommunizieren bzw. durchsetzen kannst und warum dir das bisher vielleicht noch schwerfällt.

Warum kann es so schwierig sein, Grenzen zu setzen?

Eine gute Frage … die, wie so vieles Psychologische nicht so einfach zu beantworten ist. Mögliche Einflussfaktoren, neben den gesellschaftlichen Normen, sind häufig frühe Erfahrungen und die daraus resultierenden Glaubenssätze – welche genau das sind, ist von Person zu Person sehr individuell.

Frühe Erfahrungen und Glaubenssätze

Als Kind war es unsere wichtigste Aufgabe, unser Überleben zu sichern –  und da Menschen im Baby- und Kindesalter allein völlig hilflos sind, brauchten wir dafür unbedingt unsere Eltern (oder andere Bezugspersonen). Die Bindung zu unseren Eltern zu sichern, hatte also absolute Priorität für uns als Kind.

Gleichzeitig verfügen Kinder noch nicht über die Fähigkeiten, eventuell problematische Verhaltensweisen der Eltern auch tatsächlich als ein Fehlverhalten der Eltern oder einer bestimmten Situation geschuldet, zu verstehen. Das heißt etwas vereinfacht: als Kind fühlen wir viel mehr als dass wir komplexe Zusammenhänge durchdenken und verstehen können. Wir glauben unserem Umfeld ohne zu hinterfragen und wir beziehen Verhalten unserer Eltern auf uns selbst. Als Kind lernten wir also ganz simpel aus unserer erlebten Erfahrung.

Schauen wir uns ein paar Beispiele an. Was passiert…

… wenn wir für jeden Widerspruch oder jedes Verhalten, das unseren Eltern nicht gefällt, Ärger bekommen, ignoriert werden etc.? Wir lernen, wir müssen immer lieb sein.

… wenn Mama und Papa uns nur dann Aufmerksamkeit schenken, wenn wir eine gute Note geschrieben haben? Wir lernen, wir sind nur dann gut, wenn wir leisten.

… wenn Missgeschicke zumeist mit Schimpfen, Bestrafung oder Auslachen enden? Wir lernen, wir dürfen keine Fehler machen.

… wenn wir Tante Erna zur Begrüßung umarmen müssen (obwohl wir sie eklig finden)? Wir lernen, wir dürfen nicht über unseren eigenen Körper bestimmen.

… wenn wir nur wahrgenommen werden, wenn wir uns um andere kümmern. Wir lernen, wir sind nur wertvoll, wenn wir anderen helfen.

… wenn unsere Eltern lautstark oder gar gewalttätig streiten? Wir lernen Konflikte sind schlecht und müssen vermieden werden.

Als Kinder bilden wir solche Annahmen bzw. Glaubenssätze ganz unbewusst. Und in unserer Kindheit sind sie durchaus sinnvoll – sie helfen uns, unser Verhalten so anzupassen, dass wir die Bindung zu unseren Eltern und damit unser Überleben sicherstellen können. So lernen wir expliziten und impliziten Erwartungen zu entsprechen. Viele von uns tragen diese Glaubenssätze noch heute mit sich herum. Wir haben Angst Grenzen zu setzen und befürchten Ablehnung, Verluste und Konflikte. Wir gestehen uns selbst nicht zu, wichtig und wertvoll zu sein. Teilweise empfinden wir Abhängigkeiten, beispielsweise von Partnern oder Arbeitgebern, die so real eigentlich nicht zwangsläufig bestehen. Weder die Glaubenssätze noch deren Entstehungsgeschichte sind uns meistens bewusst – es sei denn wir beschäftigen uns im Rahmen von Therapie oder Persönlichkeitsentwicklung damit. Und so beeinflussen sie still und heimlich unsere Gedanken und Bewertungen, unsere Gefühle und unser Verhalten – bis wir sie aufdecken, hinterfragen, aufarbeiten und durch konstruktivere und wahrere Annahmen ersetzen können.

Ebenfalls ein Resultat unserer früheren Erfahrungen: Modellernen

Manche von uns konnten auch nie lernen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und Grenzen zu setzen, weil unsere Bezugspersonen  selbst  nicht dazu in der Lage waren – und uns dementsprechend auch nicht vermitteln konnten, wie es funktioniert. Als Menschen lernen wir nicht nur durch Erfahrungen, sondern auch am Modell. Wachsen wir also beispielsweise mit einer Mutter auf, die sich immer um alle sorgt und selbst hinten anstellt, ist es gut möglich, dass wir uns dieses Verhalten abschauen und uns später selbst so verhalten. 

Das gesellschaftliche „Normal

Mitunter besteht zu vielen Themen auch ein gefühlter gesellschaftlicher Konsens, was akzeptables Verhalten ist und was nicht. Wir unterliegen den politischen, wirtschaftlichen, sozialen, moralischen und religiösen Gegebenheiten. Wir orientieren uns an den aktuellen Normen – die Gründe dafür sind vielfältig: Zugehörigkeit zu einer Gruppe und Akzeptanz unseres Umfelds, Anerkennung und sozialer Status, finanzielle Sicherung unserer Existenz etc.
An dieser Stelle ist anzumerken, dass das gesellschaftliche „Normal“ nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit „gesund“ ist – und wir vielleicht viel öfter einmal hinterfragen dürfen, ob „Normal“ wirklich ein erstrebenswertes Ziel für unser Wohlbefinden ist.

P.S.: Hier ging es bisher nur um zu schwache Grenzen, weil besonders viele Menschen genau deshalb Schwierigkeiten erleben. Aber: auch zu strenge Grenzen können schaden – wenn wir immer nur an uns selbst denken, andere Menschen, deren Bedürfnisse und Grenzen überhaupt nicht mehr beachten, völlig unzuverlässig werden etc., besteht die Gefahr sozialen Beziehungen zu schaden, Arbeitsplätze zu verlieren etc. – es geht also, wie so oft, um eine BALANCE.

Tipps, wie du Grenzen setzen kannst

So, kommen wir endlich zum praktischen Teil: wie kannst du am besten lernen, Grenzen in deinem Alltag zu setzen?

  • Lerne deine Grenze kennen.
    Bevor du eine Grenze ziehen kannst, musst du wissen, wo sie überhaupt liegt – logisch. Falls du damit noch Schwierigkeiten hast, kannst du beispielsweise mit den folgenden Fragen beginnen, deine Grenzen zu erkunden:

    In welchen Situationen verspürst du viel Ärger und Wut? Wann fühlst du dich unfair behandelt?
    Wo hast du das Gefühl, dich über deine eigenen Kapazitäten hinaus zu verausgaben?
    Welche Menschen oder Situationen ziehen dir sehr viel Energie?

    Schaue dir dazu auch gern weiter vorn im Artikel noch einmal die verschiedenen Arten von Grenzen an.
  • Priorisiere dich selbst.
    Du bist wichtig und wertvoll. Und du bist (als erwachsene Person), der/die Einzige, die Verantwortung für dich, dein Wohlbefinden, deine Gesundheit und die Verwirklichung deiner Ziele und Träume trägt. Also sei dir selbst wichtig genug, gut für dich zu sorgen und für dich einzustehen. Falls dir das schwer fällt, frage dich: was passiert, wenn du nicht für dich einstehst? Wie wirst du dich fühlen und was wirst du erreichen?
  • Kommuniziere deine Grenzen klar und deutlich
    Formuliere deine Grenze ehrlich, direkt und konkret. Am besten nutzt du dabei „Ich-Botschaften“, also beispielsweise: „Ich benötige nach der Arbeit etwas Zeit für mich“ oder „Danke für die Einladung, aber das möchte ich nicht.“ Versuche auf lange Erklärungen und Rechtfertigungen zu verzichten, es ist völlig okay, wenn du etwas nicht möchtest – du schuldest niemandem eine Erklärung.
  • Fange klein an und übe.
    Wenn es dir schwerfällt, Grenzen zu setzen oder Nein zu sagen, beginne in anonymen Situationen, lehne beispielsweise das nächste Mal ein Gespräch mit Promotern in der Fußgängerzone ab. Oder versuche erst einmal Grenzen bei den Menschen zu setzten, wo du weißt, sie reagieren meist mit Verständnis.

    Sei geduldig mit dir. Grenzen kommunizieren kannst du üben. Vielleicht tauchen bei den ersten Versuchen auch Schuldgefühle oder Sorgen, deinen Beziehungen zu schaden, auf. Das ist nicht ungewöhnlich. Mit etwas Übung wird das Grenzen setzen leichter fallen und du wirst sehen, dass viele deiner Befürchtungen nicht eintreten werden.
  • Ziehe Konsequenzen, wenn deine Grenzen missachtet werden.
    Wenn du deine Grenzen klar und deutlich kommuniziert hast und dein Gegenüber sie trotzdem ignoriert, sei bereit Konsequenzen zu ziehen – beispielsweise dich aus der Situation zu entfernen, das Gespräch zu beenden, den Kontakt einzuschränken etc.
  • Bonus: Erlebe die positiven Effekte auf die Beziehung zu dir selbst & anderen.
    Wenn du deine Grenzen kennst und klar kommunizierst, wirst du mehr im Einklang mit dir selbst leben – und vermutlich auf Dauer positive Effekte auf dein Wohlbefinden, deine Gesundheit und die Verwirklichung deiner Ziele etc. erleben. Und: während Grenzen vielleicht manche Menschen abschrecken (und die willst du sowieso nicht)  –  wird ehrliche Kommunikation die Beziehung zu den Menschen, die dich um deiner selbst mögen und wertschätzen, stärken.  

Probiere die Tipps gern einmal aus. Du darfst dich selbst kennenlernen. Du darfst dich selbst wichtig nehmen. Du darfst NEIN sagen. Du kannst lernen NEIN zu sagen. NEIN zu allem, was dir nicht entspricht. NEIN zu allem, was dir nicht guttut und du so nicht möchtest. Und vor allem: JA zu dir selbst, zu deinem Wohlbefinden und deiner Gesundheit. Falls du Fragen hast oder das Gefühl, dass du dir Unterstützung wünscht –  melde dich gern.