Was passiert bei Stress im Körper?

Verpflichtungen, Deadlines, Leistungsdruck auf der Arbeit. Erwartungen und Konflikte in der Beziehung und Familie. Permanente Erreichbarkeit und Reizüberflutung. Kriegsgeschehen und Klimakatastrophen in den Nachrichten. Inflation und finanzielle Sorgen – 24/7. Vor lauter to-dos und Sorgen befinden sich viele von uns im Dauerstress. Doch was ist eigentlich Stress? Was macht er mit unserem Körper und unserer Psyche?

Was ist Stress?

Zuerst einmal ist unsere Stressreaktion eine angeborene Funktion des Körpers, die uns hilft auf Bedrohungen und Anforderungen blitzschnell reagieren zu können. Der Körper setzt Stresshormone frei. Die Aufmerksamkeit sowie die psychische und körperliche Leistungsfähigkeit werden gesteigert. Zu früheren Zeiten der perfekte Mechanismus, um bei Begegnungen mit wilden Tieren oder anderen Gefahren durch Kampf oder Flucht unser Leben zu retten.

Heutzutage sind wir in unserer Region (zum Glück) eher selten Säbelzahntiger, Bär und Co. oder anderen Bedrohungen unserer körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt. Stress erleben wir trotzdem oft genug. Dank Lazarus und Folkman (1984) wissen wir mittlerweile, dass unsere eigene Bewertung einer Situation und der Glaube, diese bewältigen zu können, maßgeblich dazu beitragen, ob wir Stress empfinden oder nicht.

Nehmen wir einen bestimmten äußeren oder inneren Reiz wahr, folgt instant die Bewertung: „Ist die Situation für mich positiv, bedrohlich oder irrelevant?“ Ist sie positiv oder irrelevant – passiert nichts weiter. Schätzen wir die Situation als bedrohlich ein, folgt eine weitere Bewertung: „Kann ich die Situation bewältigen? Besitze ich die notwendigen Mittel dazu?“ Wieder gilt – ist die Antwort ja, alles perfekt; ist die Antwort hier nein – verspüren wir Stress. Wir fühlen uns einer bedrohlichen Anforderungssituation nicht gewachsen. Nun haben wir die Möglichkeit, verschiedene Coping Strategien zu nutzen. So können wir versuchen, die Situation zu verändern oder unsere eigenen Emotionen zu regulieren. Wird die Situation anschließend als nicht mehr bedrohlich oder als bewältigbar angesehen, reduziert sich unser Stresserleben wieder.

Was stresst uns?

Um Stress zu erleben, benötigt es einen inneren oder äußeren Auslöser. Solche Situationen und Reize, die Stress auslösen, werden Stressoren genannt. Häufige Stressoren sind:

Körperliche Stressoren
– Hunger, Durst, Müdigkeit, Schmerz, Krankheit etc.

Sensorisch-physikalische Stressoren
– Lärm, Kälte, Hitze, Nässe, Licht etc.
– Menschenmengen, Warteschlangen, Staus etc.

Psychosoziale Stressoren
– Zeitdruck, Leistungsdruck, Konkurrenzdruck
– Überforderung, Unterforderung
– Trennung, Isolation, Einsamkeit
– Konflikte
– Mobbing, Diskriminierung, Gewalt
– Finanzielle und existenzielle Sorgen
– Negative Gedanken, Sorgen, Zweifel
– etc.

kritische Lebensereignisse
– Verlust nahestehender Personen durch Trennung oder Tod, Arbeitsplatzverlust
– Krankheit
– Verbrechen, Naturkatastrophen, Kriege
– etc.

Übergangsphasen
– Jugend/ junges Erwachsenenalter
– Berufseinstieg
– Heirat und Familiengründung
– Renteneintritt

Wie sich ein Stressor auf unsere körperliche und psychische Gesundheit auswirkt, hängt einerseits vom Ausmaß des Stressors und andererseits von den individuellen Voraussetzungen der Person ab. Während Menschen mit einer hohen Belastbarkeitsschwelle auch kritische Lebensereignisse, chronischen Stress oder Traumata weitestgehend ohne Überforderung bewältigen können, fühlen sich Menschen mit geringer Belastbarkeitsschwelle teilweise bereits von alltäglichen Anforderungen gestresst und überfordert. Wie hoch die individuelle Belastbarkeit ist, hängt ab von genetischen Merkmalen, körperlichen Voraussetzungen, Persönlichkeitsdispositionen und den bisherigen Lebenserfahrungen (Ehlert, 2011)

Stress im Körper – das autonome Nervensystem und die HPA-Achse

Vielleicht hast du schon einmal bemerkt, dass du bei einer kniffligen Prüfungsfrage wortwörtlich in Schwitzen gerätst oder in einem Schreckmoment auf der Autobahn dein Herz plötzlich heftig und schnell pocht. Dann hast du die körperliche Stressreaktion erfahren. Diese wird hauptsächlich über zwei Wege vermittelt: neuronal über das autonome Nervensystem und humoral über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse).

Nehmen wir eine akute Gefahr bzw. eine nicht zu bewältigende Anforderung wahr, löst die Amygdala (innere Hirnstruktur zur emotionalen Bewertung von Reizen) eine Stressreaktion aus. Auf schnellstem Weg läuft diese über die Aktivierung des sympathischen Teils des autonomen Nervensystems. Vielleicht hast du auch schon einmal die Bezeichnung „Fight-or-Flight-Modus“ (bzw. „Kampf- oder Flucht-Modus“) gehört. Das autonome Nervensystem ist zuständig für die Steuerung unserer Organfunktionen und nicht willkürlich durch uns steuerbar. Bei einer wahrgenommenen Gefahr wird das Nebennierenmark alarmiert und schüttet die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin aus.

Gleichzeitig informiert die Amygdala auch den Hypothalamus. Dieser setzt das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH) frei, welches wiederum die Hypophyse dazu anregt, Adrenocorticotropin (ACTH) auszuschütten. ACTH gelangt über die Blutbahn an die Nebennierenrinde und es wird das Stresshormon Cortisol produziert. (Ehlert, 2011)

Durch die Ausschüttung der Stresshormone beschleunigt sich die Atmung. Der Puls und Blutdruck steigen. Die Leber produziert vermehrt Glucose. Der Körper wird besser mit Sauerstoff und Energie versorgt. Die Anspannung der Muskel steigt, denn nur im gespannten Zustand sind diese sofort kampf- oder fluchtbereit. Die Pupillen erweitern sich, um mehr sehen zu können. Die Blutgerinnung steigt zum Schutz vor Blutverlust bei Verletzungen. Verdauungsprozesse werden reduziert, sie benötigen zu viel Energie. Der Speichelfluss ist reduziert. Magen- und Blaseninhalt bedeuten zusätzlichen Ballast und werden häufig abgegeben. Auf gedanklicher Ebene erleben wir Leere oder ein Gedankenkarussell. Gedanken wie „Ich schaffe das niemals“ treten auf. Dazu gesellen sich oft Gefühle der Verunsicherung, Nervosität und Angst oder sogar Panik. Die Stressreaktion schafft die optimalen körperlichen Voraussetzungen, um in einer akuten Bedrohungssituation durch Kampf oder Flucht unser Leben zu retten.

Ist die Gefahr gebannt bzw. die Anforderung bewältigt, übernimmt das parasympathische Nervensystem (Rest-and-Digest-Modus). Die Atmung wird langsamer, Puls und Blutdruck sinken wieder. Die Pupillen verengen sich. Verdauungsprozesse laufen ab. Der Körper entspannt und erholt sich.

Positiver Stress und das optimale Stressniveau

Vielleicht hast du schon einmal von positivem oder negativem Stress gehört. Manchmal werden sie auch als Eustress und Distress bezeichnet. Und tatsächlich ist Stress nicht immer negativ. Stress aktiviert uns, macht uns aufmerksam und leistungsfähig. Er hilft uns beim Sport unseren Körper zu trainieren und unsere Gesundheit zu stärken. Er lässt uns Bestleistungen in Prüfungen bringen. Er lässt uns euphorisch werden auf Konzerten unserer Lieblingsbands und ein Kribbeln verspüren beim ersten Kuss.
Trotzdem kann Eustress schnell in Distress umschlagen. Zum Beispiel dann, wenn die Prüfung so weit außerhalb unserer Ressourcen liegt, dass wir glauben, sie überhaupt gar nicht schaffen zu können.

Idealerweise sind wir auf einem mittleren Stressniveau. Wie hoch dieses ist, gestaltet sich von Mensch zu Mensch individuell. Zu wenig Stress führt zu Unterforderung, Langeweile und Unwohlsein. Wir schöpfen unsere körperlichen und psychischen Potenziale nicht aus. Zu viel Stress löst Überforderung aus und eine dauerhaft erhöhte Stressreaktion führt zu gesundheitlichen Folgen und Leistungsreduktion. Auf einem mittleren Stressniveau sind wir maximal leistungsfähig (Yerkes & Dodson, 1908). Wir fühlen uns wohl und energiegeladen. Wir empfinden Freude bei der Arbeit und in unserer Freizeit und erzielen gute Leistungen. Wir fühlen uns weder unter- noch überfordert und sehen Stressoren auf diesem Niveau als Herausforderungen an. Wo liegt dein ideales Stressniveau?

Folgen von chronischem Stress

Sind wir dauerhaft einem erhöhten Stressniveau ausgesetzt, fehlt es an Raum für Entspannung und Erholung. Wir verbleiben im Fight-or-Flight-Modus. Doch der ist nur für Ausnahmesituationen angedacht und nicht als Dauerzustand. Es ist anstrengend für den Körper permanent auf 120 % durchzupowern. Du bemerkst, wie Stresssymptome dein beständiger Begleiter werden. Herzklopfen, Unruhe, Verspannungen, Schmerzen, Magen-Darm-Beschwerden usw. Ignorierst du diese und machst weiter wie bisher, erschöpft sich dein Körper immer mehr. Du fühlst dich müde, platt, kraftlos. Vielleicht entstehen nun auch manifeste körperliche oder psychische Erkrankungen wie Spannungskopfschmerzen, Migräne, Herzkreislauferkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Hauterkrankungen, Tinnitus, chronische Schmerzen, Depressionen, Ängste und Essstörungen. Häufig ist auch das Immunsystem geschwächt und du wirst anfälliger für Infekte (Seyle, 1946).

Du möchtest einen gesünderen Umgang mit Stress erlernen? Dann stöbere gern auch in meinen anderen Artikeln oder melde dich bei mir für ein Gespräch. Gemeinsam können wir schauen, welche Stressoren dich besonders belasten, was dahintersteckt und was du verändern kannst, um deine Gesundheit und dein Wohlbefinden zu stärken.

Literatur:
Ehlert, U. (2011). Verhaltensmedizinische Grundlagen. In H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Hrsg.) Klinische Psychologie & Psychotherapie, 287-300. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag.
Lazarus, R. S. & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. New York, NY: Springer.
Yerkes, R. M., & Dodson, J. D. (1908). The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation.
Selye, H. (1946). The general adaptation syndrome and the diseases of adaptation. The journal of clinical endocrinology6(2), 117-230.